Inklusions-Initiative

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Wir müssen unsere Denkweise wandeln

In seiner Rede am 5. September, kurz vor der offiziellen Einreichung der Inklusionsinitiative, erläutert Robert Joosten, Vorstandsmitglied des Vereins Graap und von Agile, die Herausforderungen des Lebens mit einer unsichtbaren Behinderung.

Robert Joosten während seiner Rede am 5. September 2024 auf dem Bundesplatz in Bern. © Michael Waser

Robert Joostens Rede:

Sehr geehrte Anwesende,

lassen Sie mich zunächst ein paar Worte zu meiner Person sagen. Ich bin 51 Jahre alt und promovierter Mathematiker. Seit über 20 Jahren lebe ich mit einer psychischen Behinderung und erhalte eine volle IV-Rente. Aktuell arbeite ich zu 30% bei der Graap-Fondation (Groupe d'accueil et d'action psychiatrique) in Lausanne, wo ich die Website betreue und Artikel für das Magazin über psychische Gesundheit Diagonales schreibe. Zudem bin ich Vorstandsmitglied bei zwei Selbsthilfeorganisationen, der Graap-Association und dem Dachverband Agile.

Heute feiern wir einen wichtigen Etappensieg für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen: In nur 15 Monaten ist es uns gelungen, 108'000 Unterschriften zu sammeln – keine leichte Aufgabe.

In meiner Rede möchte ich besonders die berufliche Inklusion in den Fokus rücken. Diese stellt für viele Menschen mit Behinderungen eine große Herausforderung dar, sei es aufgrund fehlender, unzureichender oder unbefriedigender Möglichkeiten. Viele Betroffene erfahren direkte und indirekte Diskriminierung. Berufliche Eingliederung unter würdigen Arbeitsbedingungen sichert nicht nur einen angemessenen Lebensstandard, sondern fördert auch die soziale Teilhabe. Ich kenne einige Menschen mit IV-Rente und Ergänzungsleistungen, die in prekären Verhältnissen und oft in Isolation leben.

Auch wenn ich selbst das Glück habe, 30% arbeiten zu können, wird gerade in diesem Lebensbereich meine psychische Erkrankung zur tatsächlichen Einschränkung. Lieber würde ich Vollzeit oder zumindest zu 80 % arbeiten, meine erworbenen Fähigkeiten nutzen und unabhängig von einer IV-Rente leben. Was mich daran hindert, ist meine geringe Stressresistenz und die Schwierigkeit, mich den ganzen Tag in einer ultra-wettbewerbsorientierten Arbeitswelt zu konzentrieren.

Ich hoffe, dass die Annahme der Initiative oder eines starken Gegenvorschlags den Weg für ein Gesetz ebnet, das die berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen fördert. Doch dafür wird ohne Zweifel auch ein bedeutender Wandel in den Einstellungen von Wirtschaft und Gesellschaft notwendig sein. Ich bin überzeugt, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für die Initiative zu diesem Mentalitätswandel beitragen kann.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!