Inklusions-Initiative

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Kommunikation ist oft Glückssache

In dieser Blog-Serie veröffentlichen wir die Beiträge der Redner:innen von der Kundgebung auf dem Bundesplatz vor der Einreichung der Inklusions-Initiative.

Am 5. September, dem Tag der Einreichung der Inklusions-Initiative hat Fernanda Hintz aus ihrem Alltag und den Schwierigkeiten als gehörlose Person erzählt. Sie hat, wie viele, grosse Hoffnung, dass mit der Inklusions-Initiative ein grosser Schritt gemacht werden kann, um Stress und Barrieren abzubauen.

Fernanda Hintz hält eine Rede in Gebärdensprache an der Einreichung der Inklusions-Initiative. © Michael Waser

Rede von Fernanda Hintz:

Mein Name ist Fernanda Hintz und ich freue mich sehr, heute etwas aus meinem Alltag und Problemen, mit denen ich konfrontiert bin, erzählen zu dürfen.

Ich habe grosse Hoffnung, dass die Inklusionsinitiative mein Leben, ebenso wie das von anderthalb Millionen Menschen mit Behinderungen in Zukunft, etwas einfacher machen wird hier in der Schweiz. Ich bin gehörlos geboren und habe dank meinen Eltern, die beide auch gehörlos sind, die Gebärdensprache erlernt. Im Vergleich zu anderen gehörlosen Kindern, mit hörenden Eltern, die dieses Glück nicht haben, da diese oft überfordert sind und nicht wissen, wie sie die Kommunikation sicherstellen und die Zukunft ihrer Kinder gestalten sollen. Das liegt daran, dass es in der Schweiz fast keine Frühförderung für gehörlose Kinder gibt. Gehörlose Kinder erhalten häufig eine unzureichende oder schwache Bildung, weil viele nicht wissen, wie die Frühförderung gestaltet werden soll. Jeder Kanton geht unterschiedlich damit um.

Doch das ist nicht alles: Alle Menschen mit Hörbehinderungen, darunter auch ich, erleben im Alltag grossen Stress.

Am Arbeitsplatz habe ich nur ein begrenztes Budget von der IV für Gebärdensprachdolmetschende, und es gibt keine Garantie, dass ich meinen Job behalten kann. Es ist nicht selbstverständlich. Ich habe Mühe, Weiterbildungen machen zu können, weil ich nie weiss, ob die IV die Übernahme der Dolmetschenden-Kosten für meine Weiterbildung ablehnt. Wie soll ich es da schaffen, Zugang zu einem stabilen, entspannten Leben zu finden? Ich denke, es ist dieselbe Situation wie bei vielen anderen behinderten Menschen auch. 

Ich kann nicht ruhig schlafen, weil mein Mann und ich gehörlos sind. Ich weiss nie, ob wir am nächsten Tag noch aufwachen und leben, weil wir würden nicht hören, wenn das Haus brennt oder jemand an der Tür klingelt, oder wenn eingebrochen wird oder sogar unsere Tochter entführt. Da hat man manchmal schon übertriebene Gedanken, weil es für unser Leben keine Finanzierung gibt für die Lösungen, die vorhanden sind [Brand- oder Einbruchmelder]. 

Im ÖV muss ich ständig wachsam sein, denn die Durchsagen höre ich nicht und oft gibt es nichts Schriftliches. Deshalb muss ich immer auf der SBB-App schauen, ob es Verspätungen oder Gleisänderungen gibt und darauf achten, dass mein Handy-Akku ausreichend geladen ist. Doch die SBB App ist noch nicht zuverlässig und der ÖV noch längst nicht barrierefrei.

Ich habe auch Angst vor dem Gedanken, was passiert, wenn ich in einen Autounfall verwickelt bin. Dann habe ich ja keine Dolmetschenden dabei. Die Kommunikation mit den Beteiligten und der Polizei vor Ort könnte so richtig schief laufen. Auch in anderen Notfällen, wenn meine Familie oder ich notfallmässig ins Spital müssen, ist oft keine Dolmetscherin oder Dolmetscher dabei. Auch da können Behandlungsfehler passieren. Vielleicht verstehen wir nicht, wie ein Medikament richtig anzuwenden ist. Es sind sehr viele Hürden vorhanden und es gibt kein Gesetz, dass eine Übernahme der Dolmetsch-Kosten im Gesundheitsbereich regelt. 

Bei kulturellen Angeboten kann ich sehr oft nicht teilnehmen, weil es keine Übersetzung gibt. Und bei Untertiteln habe ich dann manchmal auch keine Lust mich einzusetzen und zu kämpfen, dass das irgendwo übernommen wird. Es ist immer mit einem grossen Aufwand verbunden. Manchmal ist es möglich, dass die Verdolmetschung zwar organisiert wurde, aber so kurzfristig, dass keine Dolmetschenden mehr frei sind. So kann ich trotzdem nicht teilnehmen und habe wenig Zugang zu Kultur.

Deshalb ist diese Inklusionsinitiative ein wirklich grosser Schritt, von dem wir hoffen, dass wir endlich Gleichstellung bekommen. Es ist ein grosser Schritt, um Stress und Barrieren abzubauen! Deshalb: INKLUSION - SOFORT - JETZT!